Der nachfolgende Text soll Interessierten die Einteilung und Differenzierung von Verstimmungszuständen aus psychiatrisch- psychotherapeutischer Sicht vermitteln. Ein Instrument zur Selbstdiagnose kann damit nicht an die Hand gegeben werden. Bei krankheitswertigen Befindlichkeitsstörungen und Verstimmungen ist die Konsultation des Hausarztes, eines Psychiaters oder ärztlichen bzw. psychologischen Psychotherapeuten dringend zu empfehlen. Trauer ... ist ein den meisten Menschen vertrautes und nach dem Verlust eines nahestehenden Menschen entstehendes Gefühl. Statt Menschen kann auch ein schweres Krankheitsschicksal, der Verlust an liebgewonnenen Lebensgewohnheiten bzw. weiteren Perspektiven zu betrauern sein. Neben dem Gefühl, daß jemand oder etwas fehlt, stehen zumeist eine gewisse Leere und Einsamkeit im Vordergrund des Erlebens. Stärke und Dauer der Empfindungen sind individuell unterschiedlich. Nicht unüblich ist auch ein verzögertes Einsetzen, etwa nach einer Phase organisatorischer Ablenkung bei Beerdigungen oder einem anfänglichen Nichtwahrhabenwollen der veränderten Situation. Als krankheitswertig und behandlungsbedürftig sind über das normale Maß von drei bis sechs Monaten hinausreichende Trauerreaktionen, aber auch solche von ungewöhnlicher, mit Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen einhergehender Intensität, anzusehen. Auch das Gegenteil, d. h. die Empfindungslosigkeit mit der Unfähigkeit zu trauern, kann ein Alarmsignal sein und eine depressive Entwicklung einleiten. Hintergrund verzögerter, übermäßiger oder ausbleibender Trauer sind oft subtile bzw. unbewußte, in der Realität nun nicht mehr auflösbare Konflikte. Kränkung ... ist eine zuvorderst mit dem Gefühl persönlicher Zurücksetzung durch andere Menschen bzw. äußere Situationen einhergehende Empfindung. Eine zugleich aufkommende Wut bzw. Rache- und Revanchebedürfnisse sind nicht ungewöhnlich. Das eigene Selbstwertgefühl ist durch den äußeren Einfluß in Frage gestellt. Kränkungen sind alltägliche, vorübergehende und keinesfalls immer krankheitswertige Empfindungen. Abklärungs- und Behandlungsbedarf entstehen allenfalls bei nachhaltiger und andauernder Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls, wenn eine depressive Entwicklung sich abzeichnet. Dies kann dann eintreten, wenn durch die äußere Kränkung Selbstzweifel bzw. schlummernde innere Konflikte aktiviert werden. Depression ... ist in der heutigen, massenmedialen Zeit zu einem überzeichneten und pauschalisierten Begriff geworden. Eine leichte Verstimmung, ein selbstkritisches Innehalten bzw. eine innere Unsicherheit in einer bestimmten äußeren Situation sind nicht automatisch als Depression anzusprechen und bei intaktem Selbstwertgefühl und gegebener sozialer Unterstützung durch Angehörige und Freunde auch nicht behandlungsbedürftig. Kennzeichnend für eine krankheitswertige Depression sind zunächst eine deutliche Niedergestimmtheit, meist verbunden mit einer seelischen Hemmung und erheblicher Schwunglosigkeit. Alles wird zu viel, selbst Begegnungen mit nahestehenden Menschen. Man kann sich an und auf nichts mehr freuen. Die Gedanken drehen sich oft im Kreis, man grübelt bis in die Nacht hinein, so daß auch Ein- und Durchschlafstörungen auftreten können. Oft wacht man früh und abgeschlagen auf, und der kommende Tag erscheint wie ein unüberwindlicher Berg. Zumeist mag man sich seine Schwäche gar nicht eingestehen, zwingt sich zu den gewohnten Aktivitäten und ist entsprechend zunehmend erschöpft. In extremen Fällen können wahnhafte Ideen der Verarmung bzw. Versündigung hinzutreten. Manch einer wird lebensüberdrüßig und denkt in seiner unausweichlich erscheinenden Not sogar an den Freitod. Die Medizin im Allgemeinen und die Disziplinen der Psychiatrie und Psychotherapie im Besonderen verfügen heutzutage über hochwirksame - medikamentöse und nichtmedikamentöse - Behandlungsmethoden. Maßgeblich für die Prognose sind eine rasche Diagnosestellung und Behandlungseinleitung. Jede Verzögerung erschwert die Heilung, kann zur Chronifizierung oder gar zum tragischen Ausgang der depressiven Erkrankung beitragen. *** Erstellt von Dr. med. Thomas Brotzler, letzte Überarbeitung im Juni 2006 |